WG49 – Briefentwurf an Anna Moll
Neubabelsberg, Sonntag, 21. oder Montag, 22. August 1910

Geben Sie mir manchmal einen Wink

wenn besonders erregt ist.
\wir sind alle launig/

____
Ihr Brief war mir woltätig, es ist das
erste mal daß ich nach der Katastrophe
von \mit/ einem dritten Menschen über
unser Schicksal sprechen kann – das bedeutet
viel, denn es ist \wird/ mir sehr schwer, alles
Leid stumm in mich hineinzufressen.
und wenn Sie mir etwas liebes erweisen
wollen, dann erlauben Sie mir, daß
ich Ihnen von Zeit zu Zeit mein übervolles
Herz ausschütte! schone ich, so sehr
ich kann u bemühe mich, ihr nur die heiteren
Seiten zu zeigen, aber Ihnen gegenüber

u dieses abscheuliche Gefühl, daß\s/ sich

diesen\s/ Hoffen bedingt voraussetzt.
was ich anfangs erhoffte

 An die Sehnsucht gewöhnt man sich
nicht, sie wächst wie eine verzehrende
Krankheit weiter und reibt einen körperlich
u geistig auf.

 ja, wir sind noch jung und können noch warten, aber
wie lange? Es schaudert mich kalt wenn ich daran denke,
Jahre, viele Jahre warten zu müssen, was haben wir
denn von einander? jeder von uns muß sein eigenes Leben
leben   allein alt werden u sich verzehren

 \Ach Sie wissen das ja alles und/

Das war es ja auch, was Ihnen die
Feder aus der Hand fallen ließ, wenn
Sie an mich zu schreiben begannen, aber lassen
Sie mich bitte reden, wenn es auch nutz-
los ist

 In dem abwarten liegt etwas so
gräßliches. Ich habe mich sorgfältig geprüft
u finde nicht eine Spur von Haß oder Feind-
schaft gegen , als ich gestern den Artikel
d.[er] Zukunft in die Hände bekam wurde
mir klar daß ich an m. besten Freunde kein größeres Interesse nehmen kann.

[am linken Blattrand:]
die Ängste aussprechen, ohne
für schwach gehalten zu werden

[am rechten Blattrand:]
ich knüpfe meine eignen Filosophien [!]
an dieses merkwürdige Verhältnis von Mensch zu Menschen an;

Freude über ihre Arbeit

mittelbar ohne mein Zutun durch
mein dazwischentreten Glück bringe

man wird sich dadurch wertvoller

Die Liebe einer solchen Frau zu besitzen
erhebt u begeistert.

 Es ist klar kann ihren
jetzt nicht verlassen, dazu habe
ich selbst von der ersten Stunde an
geraten, aber

Ich hatte Ihnen erst ganz
anders geschrieben aber ich pflege
immer noch mal mich selbst
zu kontrollieren und schämte
mich einige Stunden später
meiner Schwäche

 Ist Herzschwäche
etwas bedenkliches? bitte
schreiben Sie mir das aufrich-
tig, was der Arzt davon
meinte und versch gu und
schonen Sie mich bitte nie
durch Geheimnisse, von denen
ich nichts halte.


Apparat

Überlieferung

, , .

Quellenbeschreibung

2 Bl. (3 b. S.) – Notizblock, zweites Blatt nur obere Blatthälfte ().

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

Antwort auf AMo3 vom 18. August 1910 (Ihr seid ja Beide noch so jung, Ihrt [!] könnt noch warten!): ja, wir sind noch jung und können noch warten.

Datierung

WG beantwortete mit diesem Entwurf Brief vom 18. August 1910 (AMo3), den er frühestens am 19. August erhalten haben konnte. Außerdem konnte WG den Artikel d.[er] Zukunft frühestens gestern, am 20. August (dem Erscheinungsdatum) in die Hände bekommen und tags darauf den vorliegenden Entwurf geschrieben haben. AM rekurrierte außerdem in ihrem Brief vom 23. August 1910 (AM24) auf eine Passage aus dem vorliegenden Entwurf (als ich gestern den Artikel d.[er] Zukunft in die Hände bekam): Ich bitte Dich, schick uns den Artikel aus der Zukunft zur Erheiterung. Aufgrund dieser Korrespondenzstelle kann WG48 nicht nach dem 22. August 1910 entstanden sein. Der vorliegende Entwurf wurde also am 21. oder 22. August verfasst.

Übertragung/Mitarbeit


(Marie Apitz)
(Elke Steinhauser)


A

Ihr BriefAMo3 vom 18. August 1910.

B

Katastrophe – Der Begriff Katastrophe wurde innerhalb des Briefwechsels allein von verwendet und meint die Aufdeckung der Affäre durch den an adressierten Brief, s. WG22 vom 27. oder 28. Juli und AM10 vom 31. Juli 1910. Möglicherweise wählte den Ausdruck als Referenz an , dessen Liebesbeziehung zu durch einen von seiner Frau abgefangenen Brief vom 7. April 1858 ( Nr. 148, S. 228–231) ans Licht kam. hatte dies ebenso als „Katastrophe“ bezeichnet (Brief an vom 6. Juli 1858, Nr. 220, S. 334).

C

Artikel d.[er] Zukunft – Am 20. August 1910 war eine Ausgabe der Zeitschrift Die Zukunft mit dem Artikel „An Gustav Mahler“ von erschienen ().

D

Freude über ihre Arbeit – vgl. WG46 vom 15. oder 16. August 1910: Freude an Deiner Arbeit.

E

mein dazwischentreten – s. Themenkommentar: Der fälschlich adressierte Brief an Gustav Mahler.

F

Es ist klar […] aber – Absatz in Tinte verfasst.